“Drinnen” vs. “Draußen Nature Journaling”: Vor- und Nachteile

Ich habe im letzten Jahr viel über die verschiedenen Arten nachgedacht, in denen wir nature journalen. Den Anstoß dazu hatte Marley Peifer mit diesem kontrovers diskutierten Video auf YouTube gemacht. Marley ist der YouTuber hinter der großartigen “Nature Journal Show” und ich unterstütze ihn auf Patreon. In diesem oben genannten Video argumentiert er allerdings (sehr provokativ), dass alles, was man zu Hause von Fotos journalt kein richtiges Nature Journalen sei, sondern reine “Hausaufgaben” (oh-oh).

Ich stimme dem so nicht zu und hatte sogar ausnahmsweise mal einen Kommentar bei seinem Video hinterlassen, was ich sonst eigentlich nie tue. Ich habe u.a. darauf hingewiesen, dass Nature Journaling meiner Meinung nach barrierefrei sein sollte, was auch ein großer Teil meiner Ausbildung zur Nature Journal Lehrerin bei Wild Wonder war. Zudem haben nicht alle Menschen ständig und gleichwertig Zeit und Energie in der Natur zu journalen, in Deutschland sind wir ja auch noch zusätzlich durch die Jahreszeiten und die Witterung begrenzt, ein Problem, dass Marley in Kalifornien und seinen langen Aufenthalten in Südamerika eher weniger hat.

Marley hat all die kritischen Kommentare (ich glaube es hat ihm eigentlich keiner in der Community zugestimmt) ein halbes Jahr später noch einmal kommentiert und seinen Standpunkt spezifischer erläutert: Er wollte lediglich einen Unterschied mache zwischen dem Journalen eigener Naturerlebnisse und dem Journalen von Fotos anderer Leute, deren Authentizität in Zeiten von KI etc. auch oft zweifelhaft sei. Da gebe ich ihm zumindest in Teilen recht und ich dachte ich teile mal meine Gedanken zu diesem spannenden Thema. Ich unterteile das Ganze mal in ein “Drinnen” vs. “Draußen Journaling” und gehe jeweils auf die verschiedenen Vor- und Nachteile ein.

Also: Let’s go!

Live Zeichnungen von meiner Terrasse aus, puh, Spatzen sind so schnell!

Draußen journalen

Was genau meine ich damit? Mit “draußen journalen” meine ich das Journalen in der freien Natur (logisch) aber auch im eigenen Garten, in Zoos, Botanischen Gärten, aber auch in naturhistorischen Museen oder Aquarien, in der Regel zeichnet und beschreibt man dann das, was sich vor den eigenen Augen und Ohren befindet, z.B.:

  • ein Tier, eine Pflanze oder einen Pilz, den man direkt beobachten kann

  • die Landschaft, in der man sitzt (z.B. Aquarell vom Marburger Wehr, “Landscapito” vom Waldsee, Skizze vom Baumstumpf mit umgebender Vegetation)

  • Sinneseindrücke (Sound Map, Vogelgesang, Zirpen von Insekten, Gerüche oder sogar der Geschmack von Pflanzen etc.)

  • Listen von Pflanzen, Tieren oder Pilzen, die man am Sitzplatz gefunden und beobachtet hat (als sogenannten “Bio Blitz”, also einer kurzen Bestandsaufnahme der Biodiversität vor Ort) oder Listen von Vögeln, die man gehört hat

  • Veränderungen zum letzten Mal, als man an diesem Ort war (z.B. im Garten: Was blüht heute, das letzte Woche noch grün war, wo nisten jetzt Vögel, sind neue Frösche im Teich…)

  • Landkarte des Journal-Ortes oder beobachteter Phänomene (z.B. Rabenrufe im Wald an unterschiedlichen Orten gehört)

Fazit: Beim “Draußen Journalen” beschäftigt man sich also direkt mit dem eigenen Erleben und dem, was einem die Umwelt an dem Tag präsentiert, man ist mittendrin und verewigt dieses Erleben in seinem Nature Journal.

Vorteile vom “Draußen Journalen”:

  • das Naturerleben wird durch das Nature Journaling intensiviert

  • man kann Verhalten von Tieren “live” beobachten

  • man kann den Geruchs-, Gehör-, Tast- und Geschmackssinn einsetzen

  • das Erlebte ist in 3D vorhanden, man kann z.B. Pflanzen und Pilze drehen und sie sich von allen Seiten anschauen, Insekten etc. können in der Becherlupe begutachtet werden bzw. kann man im Museum oder im Zoo durch das Verändern der eigenen Position einen räumlichen Eindruck bekommen

  • man lernt durch das Journalen die Natur vor der eigenen Haustür besser kennen

  • man erfährt spielerisch, wie spannend auch die heimische Natur ist und man eben nicht unbedingt zur Löwensafari jetten muss und Naturerfahrung auch unmittelbarer und vor allem emmissionsarmer geht

  • man journalt das eigene Erleben und hat somit auch am Ende ein Erinnerungsstück für diesen Augenblick geschaffen

Nachteile:

  • das nach draußen Gehen ist nicht immer möglich (Regen, Sturm, Kälte oder auch Krankheit oder dass man durch Kinder, familiär oder an der Arbeit stark eingebunden ist)

  • man lässt sich evtl. leichter von seiner Umgebung ablenken, wenn man z.B. vorhatte sich mit dem Löwenzahn zu beschäftigen, kann es sein, dass man etwas ganz anderes macht (kann auch ein Vorteil sein!)

  • die Abwesenheit von Nachschlagewerken und Bestimmungsbüchern. Manchmal möchte man etwas nachschauen und die Bücher, die man braucht, sind mehrere Kilometer entfernt

  • ich bin darauf angewiesen, die Dinge, die mich gerade interessieren, auch vorzufinden. Wenn ich also gerade eine krasse Fledermaus-Phase habe (hust), wird es mir nichts bringen, wenn ich nur nachmittags um 14 Uhr Zeit zum Journalen habe oder wir gerade Winter haben, und alle Fledermäuse irgendwo in einem ollen Stollen überwintern und der einzige Stollen, zu dem ich Zugang habe, bei mir auf dem Teller liegt

  • manchmal kann es an einem festen Sitzplatz vielleicht schwierig sein etwas zu finden, das einen packt und fasziniert (passiert mir persönlich allerdings selten, kommt vielleicht auch auf den Sitzplatz an)

Eine Journalseite für meinen Sofa-Promptkalender, den ich für den Nature Journal Club Marburg gemacht hatte, zum Thema “Lieblingstier der Kindheit”

Drinnen Journalen

Beim “Drinnen Journalen” muss man denke ich zwei Arten unterscheiden:

  1. Das Journalen von eigenen Naturfundstücken und Fotos, die man auf einem Spaziergang oder einer Wanderung gemacht hat

  2. Das Journalen aus fremden Quellen, also von Fotos / Videos / Tonaufnahmen aus dem Internet oder Büchern

Anders als Marley halte ich auch die zweite Option für absolut legitimes Nature Journaling, auch wenn es natürlich nicht dieselbe Dimension hat, aber dazu gleich mehr.

Und ja, mit KI und Bildfälschungen wird zunehmend zum Problem, ich habe neulich für meine Naturforscher AG nach einem Feldhasen-Foto gesucht und musste mit Erschrecken feststellen, dass in der Bildersuche unzählige KI-Fotos zu finden waren, eine beunruhigende Entwicklung, der man hoffentlich bald mit Gesetzen entgegenwirkt.

1.a: Vorteile vom “Drinnen Journalen” von eigenen Fundstücken und Fotos

  • man kann auch mit Familie und Freunden draußen unterwegs sein, ohne dass man den Spaziergang, Ausflug oder Wanderung für eine halbe Stunde Journal-Pause unterbrechen muss

  • man muss nur Handy oder die Kamera mitnehmen und evtl. einen Beutel zum Sammeln von Fundstücken (obwohl es die Jackentasche in der Regel auch tut)

  • mit der richtigen Kleidung gibt es kein schlechtes Wetter (außer gefährlichem Sturm) und man kann zu jeder Tageszeit und bei jeder Witterung nach draußen gehen

  • man journalt immer noch das eigene Erleben, aber…

  • man sitzt im Warmen und kann sich einen Kakao o.ä. und es sich so richtig gemütlich machen

  • Nachschlagewerke und Internet zum Nachschauen sind frei verfügbar

  • alle Kunstmaterialien sind vor Ort, inkl. Computer mit Drucker etc.

  • wer ein Mikroskop besitzt kann dieses nun einsetzen (yes!)

1.b: Nachteile dieser Art zu journalen

  • es ist weniger eindrücklich als vor Ort zu journalen

  • man kann nicht noch einmal genauer hinschauen, wenn man z.B. vergessen hat, welche Pflanzennachbarn vor Ort waren oder ob in der Nähe eine Fichte stand

  • beim Journalen von Fotos ist alles nur noch 2-D und man kann nicht nochmal alles drehen und wenden, wie man es möchte

  • Fotos haben keinen Geruch oder Geschmack, den man testen kann, und man ist hier auf seine Erinnerung angewiesen

  • man kann das Fotografierte nicht mehr anfassen

  • man sieht vor Ort viel mehr, wenn man längere Zeit an einem Ort verweilt, kommen immer neue Entdeckungen hinzu, Fotos sind hier sehr endgültig und oft auch sehr schnell gemacht, ohne genau hinzusehen (beim Zeichnen vor Ort wird man ja quasi auf sehr nette Art gezwungen genauer hinzuschauen)

2.a: Vorteile vom “Drinnen Journalen” mit Medien aus dritter Hand

  • man kann sich mit allem, was einem einfällt beschäftigen (Dinosaurier, Tiefsee, afrikanische Savanne, Pinguine…)

  • das Journalen wird zum virtuellen Ausflug, man kann mithilfe von Google Maps oder Google Earth die Landschaft erkunden, Arten finden und journalen, Videos anschauen und vieles mehr (ich habe mit der wunderbaren Roseann Hanson mal online einen spannenden Ausflug auf den Mars gemacht)

  • auch verborgene Dinge werden sichtbar, z.B. Bodenlebewesen, Nachtfalter, Einzeller, ausgestorbene Lebewesen

  • bei Krankheit die beste Art seine “Nature Deficit DIsorder” zu bekämpfen, ich schwöre drauf!

  • ich kann etwas journalen, das mich gerade fasziniert, vielleicht weil ich eine Doku darüber gesehen habe oder im Internet darauf gestoßen bin

2.b: Nachteile dieser Methode

  • das Journalen hat nichts mit dem eigenen Erleben zu tun, wenn man sein Nature Journal als wirkliches Naturtagebuch versteht, wird das von Marley geforderte Element des persönlich Erlebten nicht erfüllt

  • man kann im schlimmsten Fall auf Bildfälschungen hereinfallen und muss ggf. die Korrektheit der Quellen überprüfen

  • das Journalen mit diser Methode bleibt weniger im Gedächtnis, da wir in der Regel nur den Sehsinn einsetzen

  • es verleitet evtl. dazu, sich nicht mehr mit der Natur vor der eigenen Tür zu beschäftigen (ist mir allerdings noch nicht passiert)


Fazit

Puh, ok, das waren viele Spiegelstriche und lange Listen, einen fetten Applaus für alle, die so lange durchgehalten haben, woohoo! Ich hoffe, ich konnte die verschiedenen Aspekte beider Methoden gut beleuchten.

Mein Haupt-Punkt ist wahrscheinlich einfach der, dass Nature Journaling eigentlich immer eine gute Idee ist, egal wie man es macht, insofern haut rein und habt Spaß! Drinnen oder draußen ;)

Liebe Grüße an Euch alle an den Endgeräten und habt noch eine wunderschöne Woche,

Katja

It’s a crazy world out there, be curious! - Stephen Hawking







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